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Fräulein Engelhardt aus Oberscheibe

faden|geschichten • Dez. 16, 2020

Unsere erste Mini-Ausstellung

Und wir sind stolz wie Bolle!


Irgenwann einmal kam eine Kundin, nennen wir sie Frau N* zu uns in den Laden und machte uns mit einer Geschichte neugierig auf einen kleinen Schatz den sie zuhause hatte. Wir wollten unbedingt einmal sehen, wass sie da zuhause hütete, und so versprach Frau N*. in der nächsten zeit mal vorbei zu kommen.


Und wie das dann so ist, Corona regelte mehr oder weniger hart die Ausgangsmöglichkeiten der Menschen, die Tage gingen in´s Land, wir hatten die Geschichte schon fast vergessen. Und plötzlich, kurz vor Weihnachten, während einer der hoffnungsvollen Lockerungen, stand Frau N* dann im Laden. Und ihren Schatz hatte sie dabei!


Wir staunten nicht schlecht, als sie uns eine hauchdünne durchscheinende Batistschürze ihrer Klöppellehrerin zeigte! Die trug die typische erzgebirgische Klöppelkante aus Fichten und Herzen. Doch Frau N* hatte noch mehr dabei: auch den Klöppelbrief, nach dem Fräulein Ehrhardt, so hieß den Einsatz geklöppelt hatte. Aufbewahrt war alles in einem Briefumschlag, der laut Marke, über achtzig Jahre alt war. Dort fanden wir auch die Adresse von Frl. Erhardt: "Oberscheibe | Postamt Scheibenberg, Erzgebirge" Einfach so! Ohne Straße und Hausnummer! Das wollten wir nun genauer wissen. Wer war dieses Frl. Erhardt?


Wie fast immer wusste auch diesmal Tante Google die Antwort. In der Chronik des Ortes Oberscheibe lasen wir im Amtsblatt von 1990:

"Schon 1825 lebten die Einwohner auch von der Klöppelei (nach Angaben von Schumann)

1834 gab es in Oberscheibe eine Lohnklöpplerin, und zwar die Witwe von Carl Gotthilf Schubert.

Die Spitzenklöppelschule in Oberscheibewurde am 2.3.1914 eröffnet. Die Zahl der Schülerinnen betrug anfangs 29 und sieg bis Jahresende auf 50 an. 1921 waren es bereits über 100 Schülerinnen.

Erste Klöppellehrerin war Fräulein Hedwig Scheinert.

Ab 1.10.1919 kam Fräulein Johanne Engelhardt aus Pöhla nach hier. Zur Mailänder Messe 1935 erhielt sie für eine wunderbare runde Spitzenklöppeldecke einen Ehrenpreis.

Zuerst war die Klöppelschule im Erbgericht untergebracht. Am 13.1.1934 erfolgte die Einweihung der Klöppelschule im Gemeindeamt (Orts.-Nr. 26) Die Einrichtungen stiftete zum größten Teil der Förderer des Heimatwerkes Sachsen, Herr Krauß aus Schwarzenberg.[1]

Ab 1.4.1941 wurde die Klöppelschule in die Volksschule nach Scheibenberg verlegt und Fräulein Engelhardt nach Oberwiesenthal versetzt

Grund war der Rückgang der Schülerzahl.

Markersbach hatte seit 1937 eine eigene Klöppelschule, und die Scheibenberger Kinder wollten bei schlechtem Wetter nicht mehr nach Oberscheibe laufen.

1945 erfolgte mit dem Zsammenbruch des Dritten Reiches überall die Auflösung der Klöppelschulen.

Fräulein Engelhardt, welche im Gemeindeamt wohnte, leitete bis ins hohe Alter den hiesigen Klöppelzirkel an, um alte Traditionen zu pflegen und erzgebirgisches Kulturgut weiterhin zu fördern. <...>"

Chronik von Oberscheibe 1990

Noch bis ins hohe Alter von 88 Jahren entwarf sie Decken. Sie starb am 21. Juni 1990 und wurde in in ihrem Heimatort Pöhla beerdigt.


Frau N* erinnert sich an sie als an eine sehr strenge, immer hochgeschlossen und in Schwarz gekleidete Dame. Die Kinder, die bei ihr lernten, hätten die Strenge nicht immer gut gefunden. So hat ihr auch unsere Kundin einmal mit einem Wecker in der Tasche einen Streich gespielt...


Natürlich haben wir für so eine Geschichte sofort ein Fach in unserer Vitrine geräumt, um an Frl. Engelhardt zu erinnern. Es ist für uns ein ganz beonderes Gefühl, so einer schönen Geschichte den passenden Rahmen geben zu können. Zumal Klöppelbrief und Vitrine gleich alt sind.


Wir finden es großartig, dass wir an solchen faden|geschichten teilhaben dürfen. Dass uns Kundinnen solche alten Kostbarkeiten anvertrauen. Am meisten freut uns jedoch, dass wir sie teilen dürfen - ob im Laden oder hier. Mit allen denen, die wegen Corona im Moment nicht zu uns kommen können. Bleibt bitte alle gesund.


[1] Kritische Auseinandersetzung mit Friedrich Emil Krauß: https://haitblog.hypotheses.org/987

  • Unser 1. Mini-Ausstellung

    Schürze von Frl. Engelhardt

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  • Die zarte Batistschürze

    mit ihrer Klöppelspitze

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  • Erzgebirgische Spitze

    Herz und Baum

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  • Ein 80-jähriger Kloppelbrief

    Untertitel hier einfügen
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  • Blick auf Oberscheibe

    Hier lebte Frl. Engelhardt

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  • Blick auf Oberscheibe

    Alte Postkarte von Oberscheibe gelaufen 06.06.1901

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